Von Ω (Omega = Ende) nach α (Alpha = Neuanfang) – eine andere Geschichte (eine vor allem sehr, sehr persönliche)

(M)ein kurzer Lebenslauf zum Einstieg:

1977                   Matura am Militärrealgymnasium Wr. Neustadt

1977 – 1978       1. Beruf –  Soldat erlernt und ausgeübt (hatte Militärflugtauglichkeit als 3.Bester des Jahrgangs, aber MilAK hat mich abgeworfen)

1979 – 1987       2. Beruf – Vermessungstechniker erlernt (Dienstprüfung mit Auszeichnung in allen Gegenständen, als erster) und ausgeübt im Bundesamt für E u. Vermessungswesen.

1983 – 1987       3. Beruf – Ausbildung Segelflieger, Privatpilot, Instrumentenflug, Berufspilot + Linienpilot (auf eigene Kosten und Kredit)

1987 – 1988       Tyrolean Airways Copilot deHavilland Dash 7

1988 – 1989       Austrian Airlines (Konzernvertrag) Copilot Fokker 50

1989 – 2000       Lauda Air Copilot B 767, Kapitän+Trainer B 737, dann wieder B 767

2000 – 2002       Air Alps Aviation, Cpt. DO 328 und Basisleiter Linz, Wien

2002 – 2004       Styrian Spirit Airways, Direktor Flugbetrieb + Fluglehrer, Prüfer, Bombardier CL 100 (durfte den Flugbetrieb der Firma mit einem tollen Team aufbauen)

2004 – 2008       Blue Panorama Airlines, Mailand, Cpt. + Fluglehrer B 767 / 757

2008 – 2009       Vista Jet, Direktor Flugbetrieb, Cpt. + Fluglehrer, Bombardier CL 604/605

2009 – 2010       VIF Luftfahrtgesellschaft, Direktor Training, Cpt. + Lehrer, Cessna Cit.

2010 – 2011       Westair Ireland (Shannon) Cpt. + Lehrer auf privatem CL 605 „WindForceOne“

2012  – 2012       Vista Jet, Direktor Flugbetrieb, Cpt., Lehrer, …. (Flugstunden 20.000 +)

01.2013               Ω  Zusammenbruch ………………………..

29. Dezember 2012, Moskau – Ruhetag, bin gerade mit dem Mittagessen fertig geworden, es liegt mir heute etwas schwer im Magen, denn ich weiß das wir für morgen Abend einen besonders wichtigen Flugauftrag haben. Ein großer russischer Konzern möchte unsere Firma testen um möglicherweise, wenn alles zur Zufriedenheit des Kunden abläuft, einen größeren Folgeauftrag zu verhandeln. Ich weiß aber auch, dass die Navigationsdatenbank am Flieger ein Update benötigt. So ein Update ist normalerweise in einer knappen Stunde gemacht, aber auch Flugzeugcomputer entwickeln ein Eigenleben und machen Macken, dann dauert so etwas sehr viel länger. Um ja sicher zu gehen, morgen nichts zu verbocken, verabrede ich mich mit unserem Crewbusfahrer für den späten Nachmittag um heute schon zum Flugzeug zu fahren und die notwendigen Arbeiten durchzuführen.

Wir kommen auf der Autobahn dem Flughafen Vnukovo näher und überholen einige Mannschaftstranporter der Polizei – wahrscheinlich stehen wieder Politik – Demos an. Alles läuft normal   ———–   plötzlich, ohne Vorwarnung, befinden wir uns im Chaos  ——–  Teile fliegen durch die Luft, dunkler Rauch, Trümmer schlagen um uns herum in die Fahrbahn ein, das Auto vor uns wird von etwas Großen getroffen – kreischender Lärm (später erst wird mir klar, dass er von zerreißendem Aluminium erzeugt wird) – Vollbremsung, wir stehen. Mein Gott – ein großes Flugzeug, am Damm der Autobahn zerborsten in drei Teile, liegt nun in der Verlängerung der Pistenachse. Brennt – die Polizeibusse sind auch stehen geblieben, haben nichts abbekommen und die Mannschaften beginnen schon auf das Wrack zuzulaufen. Gut das Profis da sind. Mein Fahrer und ich entscheiden, da unser Auto wundersamerweise fahrbereit geblieben ist, zum Flughafen weiter zu fahren, da ohne nötige Schutzausrüstung, Hilfeleistung unmöglich ist.

Das Update ist nach einer Stunde fertig, heute arbeitet der Bordcomputer perfekt, die Rückfahrt zum Hotel dauert viel länger, da die Autobahn natürlich gesperrt ist. Im Zimmer erfahre ich aus den Medien, dass die Tupolev 204 ohne Passagiere auf einem Überstellungsflug war, 5 der 8 Crewmitglieder an Bord starben.

Den Moskau – Sotchi Flug kann ich zur Zufriedenheit des Kunden durchführen, weiß aber bis heute nicht, ob er zu einem größerem Vertrag geführt hat. Zwei Tage später fliegen wir  von Moskau nach Kasachstan um dort eine örtliche „Prinzessin“ nach Paris zu verbringen . Sie kann nicht verstehen ( in Paris hatte es geschneit), warum ich sie nicht vom Flugzeug zum Passagierbus trage, damit ihre Designerschuhe nicht nass werden.

Dann übergebe ich „meinen“ Challenger 605 an den mich ablösenden Kapitän, verabschiede mich von den Kollegen – unsere Schicht ist zu Ende und wir fliegen, mit der Linie in unsere verschiedenen Heimatorte zurück. Am Flughafen Graz werde ich von meiner lieben Frau erwartet, wir fahren Heim ins Holzhaus in Turnau, Hochsteiermark.

Zum Abendessen öffnen wir eine Flasche guten Rotwein und ich beginne zu erzählen.

Und plötzlich ist alles vorbei – was genau passierte weiß ich nicht, aber als ich wieder zu mir komme ist alles anders. Hab Mühe zu sprechen – es fehlen plötzlich Vokabeln, taumle herum und kann mich auf nichts mehr konzentrieren, nicht einmal lesen. Sonja bringt mich ins Bett. Am nächsten Tag gehe ich zum Hausarzt, dort breche ich wieder zusammen – was ist mit mir los ?

Was folgt: ein Jahr Krankenstand, Reha, Psychotherapie –  aber der Strahlemann, Flugkapitän aus Berufung und Leidenschaft und Airline Manager ist Geschichte und wird nicht mehr. Mein Psychiater erklärte mir einmal, dass das Gehirn – ähnlich wie ein Computer reagiert –  legt man zu viele umfangreiche Belastungen drauf, crashed die Festplatte und wird neu formatiert.

Dann die vorläufige Pensionierung – dazu braucht es wieder Vorführungen bei „Amtspsychiatern“ (die aber immer sehr einfühlsam agieren), wieder Schmerz, Tränen und diese harten Erinnerungen an Moskau. Nächtelange Schlaflosigkeit – jede Pressemeldung zu Flugzeugunfällen wühlt abermals auf, zum Verzweifeln. Dazu die soziale Isolation, ich kann mich nur mit maximal zwei Personen gleichzeitig unterhalten. Nehmen mehr teil folgt mein Gehirn nicht und ich kann den Sinn des Gespräches nicht erfassen. Keine Familienfeste oder Vereinsfeiern und auch das Lesen funktioniert über fünf Jahre nicht – am Ende einer Buchseite habe ich vergessen was am Anfang stand. Das Überleben retten zwei Leuchttürme meines Lebens: meine Frau, die immer zu mir steht und das Laufen. Einmal während einer Reha in Gars am Kamp laufe ich zu einem Holzkreuz hinauf, das an einen Selbstmörder erinnert und frage mich, ob der Felsabgrund vor mir die Lösung sein könnte? Die Antwort ist klar – solange ich laufend die Natur bewundern kann, geht mein Leben weiter. Alle (schweineteuren) Lizenzverlustversicherungen lassen mich im Regen stehen, so wird unser zu Hause eine zusätzliche Belastung. Dann eines Frühjahres gehen meine Frau und ich wieder einmal eine Runde laufen. Am Segelflugplatz auf der Lanzen, neben unserem Haus, werden das Erste Mal dieses Jahres die Flugzeuge aus dem Hangar gerollt – „Anfliegen“. Nach 45 Minuten Laufzeit sind wir gerade am Gegenhang – ein kleines Sportflugzeug startet, schmiert ab und zerschellt am Campingplatz neben einem Fischteich. Wieder Feuer, schwarzer Qualm – beide Piloten verbrennen. Jetzt ist klar – auch das Haus muss weg, ich kann neben einem Flugplatz nicht mehr leben.

Sonja und ich verändern unser Leben komplett, wir ziehen nach Lienz, in Osttirol. Mehr Sonnentage südlich des Alpenhauptkammes, die Osttiroler sind unheimlich freundlich, dass DU ist Alltag – und sie kennen meine Vorgeschichte nicht. Sehr eingeschränkt beginnt nun auch das Drachenfliegen wieder zu funktionieren, manchmal sogar bis zu zwei Stunden lang (siehe „Dreamteam“) und dann, fünf Jahre nach meinem Zusammenbruch beschließen wir, noch einmal eine Woche Segelurlaub zu versuchen (Segeln in allen Variationen war immer meine Begeisterung nach dem Fliegen) und chartern ein kleines Boot in Kroatien. Reisen schon zwei Tage früher an, um mir eine stressfreie Akklimatisierung zu ermöglichen. Am Tag vor der Bootsübernahme ruft die Charterfirma an und teilt mit, dass das geplante Boot defekt sei, bieten aber eine 13 Meter Yacht als Ersatz an. Ich sage zu, gebe aber meiner Frau zu verstehen, dass ich nicht weiß, ob ich in meinem Zustand ein so großes Boot auch betreiben kann. Sie antwortet: Macht nichts, schlimmsten Falles machen wir eine Woche Hafenurlaub in Vodice.

Und dann gehe ich an Bord. Das erste Gefühl – unheimlich tiefe Ruhe und Frieden breiten sich in mir aus. Es wird unser schönster Wochentörn. Der Wind, das Wogen der Wellen, die salzige Luft und vor Allem: das beschauliche Tempo des Segelns – 6 Knoten – ca. 10 km/h – die Geschwindigkeit des regenerativen Dauerlaufes – meine Geschwindigkeit – ich habe (m)ein Leben wiedergefunden.  Und Plan „AURORA“ war geboren!

Ich habe mir die Geschichte der letzten – sehr harten – 9 Jahre endlich von der Seele geschrieben um mich etwas mehr zu befreien und Menschen Hoffnung zu geben, die so wie ich glaubten – fast Alles im Leben und auch das eigene Ich verloren zu haben. Natürlich ist es ein Schicksalsschlag – eine persönliche Katastrophe.  ABER  – jedes Ende ist gleichzeitig die Chance auf einen Neuanfang. In welche Richtung ein Neustart führt, ist anfänglich tief verborgen, aber man muss daran glauben, denn dann wird er irgendwann sichtbar –  und plötzlich ist alles glasklar.

AUFGEGEBEN WERDEN BRIEFE,  DOCH NIE DAS LEBEN !

Aus verständlichen Gründen will ich keinen link zum Flugzeugunglück posten, aber auf „youtube“ findet man Filmmaterial, wenn man unter „Tupolev 204 accident Moscow“ sucht.

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